Noch wäre das Ziel erreichbar
- wenn umgehend entsprechende Weichen gestellt würden
Drei Vorschläge


Nach Jahrelanger Vorgeschichte haben sich im Jahr 2010 bei der Weltklimakonferenz in Mexiko 194 Staaten auf das Ziel verständigt, dass der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre wegen der Auswirkungen auf das Klima drastisch begrenzt werden muss, damit die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als 2° C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter steigt. Anderenfalls werde es höchstwahrscheinlich zu einer bedrohlichen Störung des Klimasystems mit nicht mehr beherrschbaren, z. T. unumkehrbaren Auswirkungen und katastrophalen Folgen für die Lebensbedingungen in vielen Regionen der Erde kommen.

Da die Erwärmung wesentlich von der CO2-Konzentration in der Atmosphäre abhängt, bedeutet die Setzung dieses 2°-Ziels, dass nur noch eine begrenzte Menge an CO2 in der Luft deponiert werden darf. Dem 5. Sachstandsbericht des IPCC (Weltklimarat der UNO), in dem die derzeitig wissenschaftlich anerkannten Grundlagen-Forschungsergebnisse zum Klimawandel beschrieben sind, ist zu entnehmen, um wieviel Mrd. t die CO2-Konzentration der Atmosphäre noch erhöht werden dürfte, damit das 2°-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 66 % eingehalten werden kann, s. IPCC, 2013: Summary for Policymakers. In: Climate Change 2013, Seite 27, letzter Absatz (unter Berücksichtigung auch anderer Treibhausgase wie Methan und Lachgas): Bei Beginn der Industrialisierung habe unter der genannten Bedingung das Budget noch 2.900 Mrd. t betragen. Bis 2010 seien davon 2.150 Mrd.t CO2-äq.emittiert worden, sodass ab 2012 nur noch etwa 750 Mrd. t CO2-äq. aus anthropogenen Quellen emittiert werden dürfen, wenn das 2°-Ziel mit mehr als 66 % Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll. Würde in den nächsten Jahren jährlich erneut so viel emittiert wie in 2013, wäre das Budget schon ca. 2035 aufgebraucht. Je schneller und deutlicher die Jahresemissionen reduziert werden, desto weiter lässt sich die Notwendigkeit "Null-Emission" hinausschieben.

Bei der Übergabe des vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) erstellten Sondergutachtens Klimaschutz als Weltbürgerbewegung an die Bundesregierung am 17.09.2014 sagte der Vorsitzende des WBGU, Hans Joachim Schellnhuber: „Der 5. Sachstandsbericht des IPCC hat unmissverständlich klar gemacht: inakzeptable Klimafolgen werden sich jenseits der 2°C – Klimaschutzleitplanke häufen. Diese Risiken können nur vermieden werden, wenn bis spätestens 2070 die globalen CO2-Emissionen auf Null sinken“. Das Gutachten beschreibt, dass jedes Land, jede Kommune, jedes Unternehmen und jeder Bürger individuell „die Null schaffen“ müsse, wenn die Welt als Ganzes klimaneutral werden solle. Dabei sei zu beachten, dass die 2°C-Klimaschutzleitplanke nur gehalten werden könne, wenn zahlreiche Länder – insbesondere die reichen OECD-Staaten – schon deutlich früher ihre Emissionen nahe Null senken. (S. Presseerklärung)

Drei Hoffnung machende, einander ergänzende Handlungsvorschläge, die umgehende politische Weichenstellungen erfordern

  • In Kenntnis der vom IPCC benannten Voraussetzungen hat das Umweltbundesamt im April 2014 die Studie Treibhausgasneutrales Deutschland im Jahr 2050 veröffentlicht. Die Formulierung "treibhausgasneutral" ist zwar nicht ganz glücklich; eindeutiger wär es, von einem "treibhausgasfreien" bzw. "klimaneutralen Deutschland" zu reden - aber egal, gemeint ist das Gleiche. Ausgangspunkt der Studie ist das globale 2°-Ziel.

    Das gemeinsam gesetzte Klimaschutzziel wird nur erreichbar sein - so die Studie in Aufnahme des allgemeinen wissenschaftlichen Konsenses -, wenn alle Staaten ihre Treibhausgasemissionen, insbesondere die CO2-Emissionen, ihren eigenen Kapazitäten entsprechend so weit wie möglich begrenzen und eine Verminderung der Treibhausgasemissionen bis 2050 in der Größenordnung von global mindestens 50 % gegenüber 1990 erreichen. Dies bedeute für Industrieländer wie Deutschland, dass sie nahezu treibhausgasneutral (bzw. klimaneutral) werden müssten: Sie müssten ihre Emissionen um etwa 80 - 95 % gegenüber 1990 reduzieren.

    Der Leitsatz der Studie des Umweltbundesamtes lautet (s. S. 315): Die Energiewende und die Umsetzung ambitionierter Klimaschutzziele sind eine politische und gesellschaftliche Aufgabe; sie muss vom Ende her gedacht und gestaltet werden: einer praktisch vollständig treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebensweise ["treibhausgasneutral" meint "frei von Treibhausgasen", zumindest "klimaneutral", also "das Klima nicht beeinflussend"].

    Die Studie beschreibt auf über 300 Seiten sehr konkret, durch welche Maßnahmen und gesetzlichen Weichenstellungen es Deutschland tatsächlich möglich sein könnte, für sich bis 2050 annähernd Klimaneutralität zu erreichen und damit der von den Teilnehmerstaaten in Mexico beschriebenen Aufgabe gerecht zu werden. Es ist faszinierend und ermutigend, die sehr konkreten Vorschläge zu lesen.

  • Mindestens ebenso faszinierend ist es, das Handlungskonzept von Andreas Wolfsteiner und Günter Wittmann zur Kenntnis zu nehmen, dass sie in ihrem Buch "Nur Egoismus kann das Klima retten" schon 2011 veröffentlicht haben. Vgl. auch www.klima-retten.info. Die Autoren plädieren für einen marktbasierten Klimaschutz, da nach ihrer Einschätzung nur Marktmechanismen das Potenzial haben für einen ökonomisch vernünftigen und sozial verträglichen Strukturwandel.

    Dann wird - wie auch sonst immer - jeder (egoistisch) so wenig wie möglich für seine Energienutzung und seinen Konsum, d.h. in diesem Zusammenhang: so wenig wie möglich an CO2-Abgabe zahlen wollen, und jeder Unternehmer wird seine Angebote bzw. Waren so gestalten bzw. produzieren wollen, dass sie mit einer möglichst geringen CO2-Last befrachtet sind und so der Preis für die Kunden möglichst gering gehalten werden kann.

    "Wir emittieren zu viel CO2, weil wir [bisher] die Folgekosten sozialisieren und den Nutzen privatisieren können." Deshalb, so Wolfsteiner und Wittmann, müssten Marktinstrumente (CO2-Abgabe auf nationaler und EU-Ebene und/oder umfassender Emissionshandel) dafür sorgen, dass von jedem Energienutzer ein die ökologische Wahrheit berücksichtigender Preis gezahlt wird. Nur so könne ein Anreiz geschaffen werden, dass ein Wettbewerb um die kohlenstoffärmste Wirtschafts- und Lebensweise schnell und erfolgversprechend beginnt.

  • Den dritten Vorschlag sollte man mit den beiden vorherigen verknüpfen: Fr. J. Radermacher schägt in seinem Text Grundstruktur eines möglichen Welt-Klimavertrags (FAW/n, Ulm, 2014) der Politik vor, eine Kooperation mit dem Privatsektor, insbesondere mit dem finanzkräftigen Bereich der Premiumkonsumenten, einzugehen und ihn zur Erreichung individueller/privater Klimaneutralität anzuregen. Die Instrumente dazu sollten nach seinem Vorschlag der Erwerb und die Stilllegung legaler Emissionsrechte und die Investition in weltweite Aufforstungen zur Absorption von emittiertem CO2 (Negativemission) sein. Andere plädieren für die Nutzung gerade der Waldoption schon sehr lange; vielleicht gelingt es durch die Initiative von Radermacher (und hoffentlich großer öffentlicher Unterstützung), nun im Rahmen der Verhandlungen in 2015 zu einem neuen Weltklimavertrag endlich auch dieses Potential in großen Dimensionen für den Klimaschutz zu aktivieren.

    Aber ... weiter