Müsste das nicht zu denken geben? -
Ein Kommentar zum Verhalten der Kompensationskritiker


Dass man in der "grünen Szene" CO2-Kompensationszertifikate als Freibriefe brandmarkt, wenn sie genutzt werden, um sich von Bemühungen um Emissionsvermeidung freizukaufen, ist für mich verständlich. Unverständlich aber ist mir das eigene Klimaschutz-Verhalten der Kritiker solchen Missbrauchs: Ich gehe davon aus, dass sie selbst sich sehr um Emissionsvermeidung bemühen; ihnen könnte man ein Sich-Freikaufen-Wollen nicht vorwerfen. Weshalb aber reagieren sie dann fast immer mit Sich-Wegducken und Schweigen auf die Einladung, ergänzend ihre trotz aller Bemühungen nicht vermiedenen "Rest"-Emissionen zu kompensieren?

Das ist ganz sicher richtig: Wer sich ausschließlich um Emissionskompensation bemüht - womöglich bis hin zu klimaneutralem Handeln - und meint, sich um die Verminderung seiner CO2-Emissionen nicht mehr kümmern zu müssen, der kauft sich damit von einer Kernforderung des Klimaschutzhandelns frei. Nicht von der höchstrangigen Forderung, so schnell wie nur möglich nicht mehr zur Erhöhung der CO2-Konzentration der Luft beizutragen; wer 100 Prozent kompensiert, hat gegen den Konzentrationsanstieg doppelt so viel getan wie der, der ausschließlich kaum erreichbare 50 Prozent CO2-Emission vermeidet. Aber wer kompensiert und zugleich meint, er müsse sich um Emissionsvermeidung nun nicht mehr kümmern, der kauft sich frei von der Forderung, dass für seinen Energiebedarf so wenig Kohlenwasserstoffe wie möglich verbrannt werden sollten, damit die fossilen Energieträger an ihren sicheren ursprünglichen Lagerstätten verbleiben. Würde er sich dieser Anforderung stellen, müsste er sich um Verhaltensänderungen (z.B. weniger fliegen, ein Auto mit weniger Spritverbrauch fahren, regional produzierte Produkte einkaufen), um die Anwendung technischer Möglichkeiten (z.B. Erneuerung des Heizkessels, Wärmeisolierung des Hauses) und um die Nutzung erneuerbarer Energieträger bemühen.

Diejenigen, die aus tiefstem "grünen" Herzen gegen die Kompensation von CO2-Emissionen argumentieren, befürchten, dass die Anforderung, unseren Lebensstil zu ändern, durch die Kompensationsangebote entkräftet wird. Ein Beispiel: Es sei zwar möglich, geben sie zu, die CO2-Emissionen einer Schiffskreuzfahrt zu kompensieren und so tatsächlich - netto betrachtet - trotz der Kreuzfahrt die CO2-Konzentration der Luft nicht zu erhöhen. Aber diese Option erlaube es, alle sonstige ökologisch begründete Kritik auszublenden und die Kreuzfahrt mit "gutem Gewissen" zu unternehmen.

Wieder muss ich sagen: Ja, dies Problem sehe ich auch. Auch wenn die Anforderung, die Luft möglichst brutto, zumindest aber netto nicht mit weiteren CO2-Emissionen zu belasten, aus Sicht der Treibhausgasproblematik an erster Stelle steht, muss das Angebot der Kompensation immer verknüpft sein mit der Forderung, zugleich und so weit wie möglich auch die Option der Emissionsvermeidung zu nutzen - bei diesem Beispiel durch Verzicht auf dieses ökologisch (zu) teure Vergnügen einer Kreuzfahrt.

Ebenso aber gilt Folgendes:
Wahrscheinlich dürfen nur noch rd. 600 Mrd. t aus der Verbrennung fossiler Stoffe in der Atmosphäre deponiert werden, um das 2°-Ziel nicht durch Überschreitung der entsprechenden CO2-Konzentration in der Luft zu gefährden. Bei Fortsetzung des bisherigen Weges wird jene Menge in 15-20 Jahren erschöpft sein. Ab dann dürfte es, dem Klimaschutzziel entsprechend, weltweit nur noch Null-Emission geben! Deshalb ist auch das engagierteste Bemühen um Emissionsvermeidung nicht von der Notwendigkeit befreit, so schnell wie möglich und so umfassend wie möglich den vollen realisierbaren Beitrag zum Stop des weiteren Anstiegs der CO2-Konzentration zu leisten. Und das bedeutet die Anforderung, sich auch um alle trotz intensiver Bemühungen noch nicht vermiedenen CO2-Emissionen zu kümmern und sie durch technische Kompensation oder biotische „Entsorgung“ zu neutralisieren bzw. klimaunschädlich zu machen. Und dagegen wird Einspruch erhoben? Genau hier sitzt mein Problem mit den in der Regel ökologisch sehr bewusst handelnden Kritikern der Kompensationsoption:

Bei ihnen dürfte die Gefahr doch wohl nicht bestehen, sich von der Anforderung freizukaufen, den eigenen Lebensvollzug ökologisch auszurichten. Damit aber entfällt dann zumindest bei ihnen selbst das Schlüsselargument gegen Kompensationsmaßnahmen. Gerade diese Personengruppe mit ausgeprägtem ökologischen Bewusstsein könnte beispielgebend und überzeugend vorausgehen und das eigene Handeln durch die Kombination von Emissionsvermeidung und Emissionskompensation klimaneutral stellen.

Leider aber geschieht das bisher in der "grünen Szene" fast gar nicht. Der Aspekt "Verantwortung übernehmen für die trotz entsprechender Bemühungen (noch) nicht vermiedenen CO2-Emissionen" wird konsequent von den meisten im Umweltschutz Aktiven ausgeblendet - als hätten sie sich freigekauft mit ihrem engagierten Bemühen um Emissionsvermeidung von der Verantwortung für die nicht vermiedenen "Rest"-Emissionen. Hinterfragt man dieses Phänomen, bedeutet dies den Abbruch der Kommunikation. Für diese Wahrnehmung könnte ich aus langjähriger und aktueller Erfahrung unzählige Belege anführen.

Fast so lange, wie es Klimaschutzbemühungen gibt, wird das Werben für Kompensations-maßnahmen besonders im Umweltschutzbereich in geradezu ideologisch anmutender Weise bekämpft. Die immer deutlicher hervortretende Tatsache wird verleugnet, dass die zweifellos notwendige Veränderung des Lebensstils der westlichen Industrienationen sich bei Leibe nicht so schnell erreichen lässt, wie der Anstieg der CO2-Konzentration der Luft gestoppt werden muss.

Nur diejenigen wären legitimiert, die Handlungsoption "Kompensation" persönlich zu missachten, die es schafften, ihr Handeln ausschließlich durch Emissionsvermeidung klimaneutral zu stellen oder aufs Ganze gesehen diejenigen, die mit größter Wahrscheinlichkeit vorhersagen könnten, dass das Überschreiten der maximal (vielleicht) tolerablen globalen Erwärmung (2°C-Ziel) bzw. der entsprechenden kritischen CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch rechtzeitig allein durch die Vermeidung von CO2-Emissionen verhindert werden könne. Aber keiner kann das seriös begründet annehmen.

Also: Ihr, die Ihr berechtigter Weise Kompensationen anprangert, sofern sie als Freikauf von Emissions-Reduktions-Anstrengungen missbraucht werden - wo bleibt Ihr mit Euren (richtig verstandenen) Kompensationsmaßnahmen als Ergänzung Eurer eigenen Reduktions-Anstrengungen? Auch Euch wird es nur mit Vermeiden und Kompensieren möglich sein, in Kürze nicht mehr zur Verstärkung der Klimaproblematik beizutragen. (Davon, dass auch Ihr das Euch Mögliche tun wollt, gehe ich aus - nicht zuletzt wegen der Forderungen, die Ihr an andere richtet.)

Horst Emse
10.01.2013